Vernagtferner 2011
Der Vernagtferner
ein Gletscher im Klimawandel
Hier entsteht eine umfangreiche Seite über den Vernagtferner, einem heute noch etwa 7 Quadratkilometer großen Gletscher in den Ötztaler Alpen in Österreich. Dabei wird es aber nicht um touristische Anregungen oder gar alpinistische Tourenbeschreibungen gehen. Dazu gibt es bessere Seiten im Netz. Diese Seite dagegen behandelt den Gletscher und seine Entwicklung im Klimawandel aus der Sicht der Glaziologie und Meteorologie. Der Vernagtferner gilt als einer der am besten untersuchten Gletscher in Europa. Die wissenschaftlichen Arbeiten dazu sind seit 1962 an der Kommission für Glaziologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München angesiedelt und wird heute dort durch das Projekt Erdmessung & Glaziologie fortgeführt. Das Klimamonitoring am Vernagtferner ist dort inzwischen aber nur eine Teilaufgabe. Auch während meiner jahrzehntelangen Projekt-Tätigkeit an der BAdW waren die Arbeiten mit dem umfangreichen am Vernagtferner erhobenen Material und die Publikation der Ergebnisse nicht immer im Vordergrund. Mein inzwischen beginnender Ruhestand ermöglicht nun abseits des meist nach strengen Regeln operierenden recht mühsamen Wissenschaftsbetriebs einigermaßen entspannt interessante Teile des zuletzt angesammelten Materials und auch einige Erkenntnisse zum Klimawandel populärwissenschaftlich zu präsentieren. Vielleicht gelingt es sogar, einige Fragen und Zweifel zu der Thematik auszuräumen. Die hier präsentierten klimatologischen Auswertungen der Messreihen sind in dieser Form weitgehend noch nicht publiziert. Es handelt sich um erweiterte klimatologische Bearbeitung (Korrekturen von systematischen Messfehlern, Ergänzung von Messlücken, Ableitung weiterer Messgrößen) der bislang in der Datenbank Pangaea und der Webseite www.Glaziologie.de publizierten Rohdatenreihen der Messungen an der Klimastation Vernagtbach und zur Veränderungen des Vernagtferners. Der in dankenswerter Weise mögliche Zugriff auch auf die aktuellsten Rohmessdaten erlaubt bislang noch die meist monatliche Aktualisierung der Klimareihen, so dass die aktuelle Situation in Relation zu der historischen Entwicklung beurteilt werden kann. Wichtige Ergänzungen Dies wird allerdings nicht auf Dauer möglich sein. An dieser Stelle sei auch für die Unterstützung den ehemaligen und aktuell an der BAdW tätigen Kollegen recht herzlich gedankt. Der Aufbau der Seiten wird allerdings noch etwas Zeit in Anspruch nehmen, so dass es sich lohnt, gelegentlich wieder die Seiten von www.Vernagtferner.de zu besuchen. Markus Weber, München
Die Veränderungen des Vernagtferners seit seinem letzten Höchststand 1845 sind ein eindrückliches Zeugnis der lokalen Auswirkung des globalen Klimawandels im 20. Und 21. Jahrhundert. Anhand der seit 1889 regelmäßig durchgeführten Kartierungen der Gletscherfläche zusammen mit seinem sich ständig vergrößernden Gletschervorfeld ist die Veränderung der Eismasse im Laufe der Zeit bis in die Gegenwart vergleichsweise gut dokumentiert. Zusammen mit in den 1960er-Jahren noch auf der Basis von Refraktionsseismik, ab 2006 auch mittels Mikrowellenradarmessungen erfolgten Rekonstruktion der Topografie des unter der Eismasse verborgenen Gletscherbetts konnte mit diesen Informationen auch die Gesamtmasse bestimmt werden. Die Abbildung oben zeigt in Blau die Veränderung der Masse des Vernagtferners, soweit sie anhand genauer topographischen Karten und zusätzlichen Fotografien bestimmt bzw. rekonstruiert werden konnte. Die erste dieser vollständigen Aufnahmen ist die berühmte Karte von Sebastian Finsterwalder, welche den Gletscher im Jahre 1889 dokumentiert. Die Fläche zur Zeit des letzten Maximalstands des Gletschers um 1845 dagegen wird anhand der noch gut erhaltenen Seiten- und Endmoränen zu 13.8 km2 bestimmt und daraus das Maximum der Masse auf etwa 900 Milliarden kg (900 Millionen Tonnen) geschätzt. Vor 1889 liegen leider keine quantitativen Beobachtungen zur Veränderung der Gletscheroberfläche mehr vor, es kam aber nach Bilddokumenten bereits kurz nach dem letzten großen Vorstoß der Gletscherzunge bis in das Rofental zu deren schnellen Zurückschmelzen. Dabei waren die jährlichen Massenverluste ähnlich hoch wie in der jüngeren Periode seit 1980. Weitere sogenannte terrestrische (im Gegensatz zu Luftaufnahmen von Punkten an der Oberfläche innerhalb des Geländes gewonnene) Gesamtaufnahmen des Gletschers erfolgten im Sommer 1912 und 1938, 1954 erfolgte dann die erste Kartierung auf der Basis von Luftaufnahmen. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Vernagtferner die Hälfte seiner ursprünglichen Masse durch den Verlust seiner weit in das Vernagttal reichenden gewaltigen Zunge verloren. Dank der mit deutlich weniger Aufwand als bei der terrestrischen Aufnahmen durchführbaren Kartierung mittels fernerkundlichen Methoden, zunächst auf der Basis von Befliegungen, später auch durch Satellitenaufnahmen, konnten die Volumen- und Massenänderungen seit Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend häufiger und genauer bestimmt werden. War die Kartierung des Untergrundes auf der Basis der Refraktionsseismik um 1967 noch recht ungenau, konnten diese Kenntnisse ab 2006 durch Messungen mit einem auf der Gletscheroberfläche betriebenen Mikrowellenradar deutlich erweitert werden. Außerdem legte der Gletscher beim Zurückschmelzen immer größere Bereiche des ursprünglich eisbedeckten Untergrundes frei. Auf diese Weise konnten sowohl der letzte merkliche Massenzuwachs zwischen 1954 und 1979 als auch das kontinuierliche Zurückschmelzen seit 1980 mit guter Genauigkeit quantifiziert werden. Im Jahr 2020 war von der ursprünglichen Masse Mitte des 19. Jahrhunderts weniger als 20% übrig. Obwohl die lineare Fortschreibung eines Trends aus der Vergangenheit in die Zukunft nur beschränkt zulässig ist, drängt sie sich im Falle des Vernagtferners geradezu auf. Demnach könnte der Gletscher noch vor Ende des nächsten Jahrzehnts vollständig verschwunden sein. Dazu aber weiter unten mehr.
Diese Seiten sind noch im Aufbau und dienen zu Testzwecken!

Der Massenverlust des Vernagtferners seit dem letzten Hochstand 1845

Obwohl mehrere Ursachen für den auffallenden Massenverlust des Vernagtferners in den letzten 170 Jahren denkbar wären, ist der Zusammenhang mit dem globalen Klimawandel am wahrscheinlichsten. Dies insbesondere deshalb, weil ein Gletscher aus Eis besteht, welches bei Temperaturen oberhalb des Gefrierpunkts und genügend verfügbarer Wärmeenergie zu schmelzen beginnt. Seine Existenz verdankt er nichts weiter außer dem gelegentlich an seiner Oberfläche deponierten Schnee. Beides sind wohlbekannte Wetterelemente. Allerdings ist der Austausch von Masse und Energie zwischen der Gletscheroberfläche und der Atmosphäre vielseitig, so dass eigentlich eine ganze Reihe von meteorologischen und hydrologischen Größen zu dessen Untersuchung herangezogen werden müssten. Zusammen bewirken sie gemäß der herrschenden Wetterlage positive oder negative Beiträge zur Massenbilanz des Gletschers, die wiederum in der Summe langfristig die beobachteten Masseverluste oder auch -Gewinne zur Folge haben. Langfristig deshalb, weil die Massenänderungen eine Anpassungsreaktion an das herrschende Klima, also das mittlere Wetter über mehrere Jahrzehnte darstellen. Bleibt dieses statistisch betrachtet konstant und ist der Gletscher in seinen Dimensionen daran gut angepasst, dann wird sich seine Masse insgesamt nicht wesentlich ändern. Dieser Fall ist jedoch eher hypothetischer Art. Einem häufigen Einwand der Klimaskeptiker muss man nämlich durchaus zustimmen: Es gab in der Vergangenheit stets Änderungen des Klimas, diese erfolgten jedoch meist in Form von zyklischen Schwankungen innerhalb eines engen Bereiches. Somit waren auch die Gletscher selten im Gleichgewicht mit dem Klima und daher ständigen Anpassungsprozessen unterworfen. Da diese je nach Größe und Steilheit des Gletschers eine gewisse Zeit benötigen, erfolgt die Anpassung verzögert. Dies bedeutet, dass der Gletscher meist in wärmeren Perioden eine zu große Fläche und eine zu kleine in kälteren Abschnitten aufweist, was ihn nicht angemessen reagieren lässt. Je schneller die Änderung des Klimas erfolgt, desto weiter ist der Gletscher von seinem idealen Gleichgewichtszustand entfernt, welcher sich in einer ausgeglichenen Massenbilanz äußert. Selbst im Falle einer Stagnation oder gar Umkehr des Klimatrends wird ein zu großer Gletscher zunächst einmal weiter an Masse verlieren. Ein wesentlicher Faktor ist dabei die Kriechbewegung des Eises.

Eine schwierige Beziehung: Gletscher und Klima

Wie kann ein Klimatrend sinnvoll quantifiziert werden?

Wie bereits weiter oben angesprochen, versteht man unter Klima das mittlere Wetter über einen längeren Zeitraum, 30 Jahren sind bei den Wetterdiensten gebräuchlich. Dies entspricht der Dauer einer Generation. Die Wetterdienste beziehen sich in der Regel auf die Periode vor dem letzten vollständigen Jahrzehnt, gegenwärtig also 1991 bis 2020. Als Vergleich können dann beispielsweise die Klimaperioden 1961 bis 1990 oder auch 1981 bis 2010 herangezogen werden. Während das Wetter oder auch ein kürzerer Abschnitt von Wettertagen, die Witterung, direkt erfahrbar ist, ist es das Klima mit Ausnahme von sehr extremen Klimaten in der Regel nicht. Die wenigsten Menschen sind gefühlsmäßig in der Lage, eine aktuelle Wetterlage klimatologisch richtig einzuordnen, z.B. „so heiß wie nie in meinem Leben“ oder „so viel Schnee wie noch nie“. Dies ist allein auf der Basis einer Datenbank möglich, welche präzise Messwerte enthält. Diese lassen sich statistisch analysieren und für die darin enthaltenen meteorologischen Größen für die Klimaperiode objektive charakteristische Kenngrößen wie Mittelwerte, Minimal und Maximalwerte und deren Mittelwerte, oder auch Summen und Anzahl der Tage, in denen Schwellenwerte überschritten werden. Beispiele währen die Lufttemperatur, die Feuchte, die Sonneneinstrahlung und die Wärmestrahlung, aber auch die Windgeschwindigkeit und –Richtung, der Niederschlag oder die Schneehöhe oder die Sonnenscheindauer. Jedes dieser Größen ist ein Klimaelement, welches einen bedeutenden Einfluss auf die Vorgänge an der Gletscheroberfläche haben könnte. Als Mensch ist man mit dieser Analyse heillos überfordert, es fehlt dazu ein Gedächtnis besonders für die alltäglichen „normalen“ Wetterabläufe, man kann sich bestenfalls an Extremwetter erinnern. Aber selbst in diesen Fällen spielt die Erinnerung oft einen Streich. Man kann Menschen, die behaupten, das Wetter wäre in ihrer Jugend nicht anders oder sogar wärmer als heute nicht unbedingt der Lüge bezichtigen, denn sie haben diese Erinnerung, auch wenn sie einer Faktenanalyse niemals standhält. Der Gletscher dagegen besitzt das ultimative Gedächtnis für das Wetter und ist damit ein idealer Zeuge für Veränderungen des Klimas. Für eine objektive Analyse des Klimas ist es daher sinnvoll, aus der Vielzahl der meteorologischen Variablen, diejenige als Indikator auszuwählen, dir durch die anderen am stärksten Beeinflusst wird. Am nächsten kommt dem die bodennahe Lufttemperatur, in der Regel gemessen in 2 m Höhe über Grund. Sie ändert sich stark mit dem Luftdruck (daher ihre signifikante Höhenabhängig), stellt sich aber auch stark gemäß der Strahlungsbilanz der Oberfläche und der Advektionsbedingungen ein. Damit führen sämtliche menschliche Aktivitäten zu messbaren Veränderungen, also nicht allein der steigende Gehalt der Atmosphäre an Treibhausgasen, sondern auch insbesondere die Änderung der Landoberflächennutzung (z.B. Versiegelung). Dies gilt aber auch für natürliche Reaktionen auf die Veränderungen, wie beispielsweise der Rückgang der Schnee- und Eisflächen. Der unterschiedlich starke Einfluss führt lokal zu großen Unterschieden in der Temperatur. Von Vorteil ist zudem, dass sehr viele Messreihen der bodennahen Temperatur existieren und diese teilweise sehr viel weiter in die Vergangenheit reichen als die anderer Messgrößen. Gemittelt über die gesamte Erdoberfläche werden diese örtlichen Schwankungen räumlich geglättet. Große Anteile des globalen Temperaturmittels entstammen Messwerten über Meeresflächen, wo Veränderungen vor allem durch die Komponenten der Strahlungsbilanz verursacht werden und daher dort primär die Auswirkungen der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre auf das Klima verstärkt in Erscheinung treten. Es ist einleuchtend, dass die Heterogenität der Erdoberfläche im Verhältnis zu der Dichte des Messnetzes keine absolut genaue Bestimmung der Mitteltemperatur der Erdoberfläche erlaubt. Daran ändern auch die heute vielfachverfügbaren Satellitenmessungen zur Verdichtung des Messnetzes nur wenig. Der absolute Fehler dürfte hier mehr als ein Grad betragen, während der Klimawandel zu Änderungen in der gleichen Größenordnung innerhalb von 100 Jahren führt. Es ist jedoch ein fundamentaler Irrtum, daraus den Schluss abzuleiten, ein quantitativer Nachweis des aktuellen globalen Erwärmungstrends der Erde sei daher nicht möglich. Denn dessen Bestimmung erfordert dazu ist keine absolute Genauigkeit der zugrunde liegenden Messung im Bereich von <0.05°K, sondern hängt nur von der relativen Genauigkeit zwischen zwei Messungen ab, und die ist um ein vielfaches besser als die absolute Genauigkeit. Man bestimmt dazu die Temperaturanomalie als Differenz zu einem Mittelwert einer Klimaperiode in der Vergangenheit. Diese Anomalie ist für sich betrachtet sehr viel genauer, da nicht die Genauigkeit des Sensors, sondern der systematische Fehler bei der Bestimmung des Flächenmittels die große Ungenauigkeit des Absolutwertes verursacht, der bei der Betrachtung der Anomalie nicht ins Gewicht fällt. Seit den 1980er Jahren erstellt das CRU (Climate Research Unit) , ein Institut an der University of East Anglia (UEA) im englischen Norwich, in Zusammenarbeit mit dem Hadley Center of Prediction and Research einen Datensatz, welcher sämtliche verfügbaren Messungen der bodennahen Lufttemperatur über Land und Meer weltweit zusammenfasst. Seit 1998 wird diese bis 1850 zurückreichende sogenannte HadCruT -Reihe der globalen Temperaturanomalie regelmäßig aktualisiert im Internet veröffentlicht . Sie wird auf den Mittelwert des Klimareferenzzeitraums von 1961 bis 1990 bezogen. In der Abbildung oben ist die aktuell gültige Version dieser Kurve in Rot dargestellt, jedoch sind die jährlichen Schwankungen mit einem gleitenden Mittel über 9 Jahre geglättet. Diese Methode bildet die Glättung nach, die durch die längeren Zeitabstände zwischen der Bestimmung der Gletschermasse einerseits und deren Trägheitsreaktion auf das Klimasignal zwangsläufig entsteht. Seit den Corona-Jahren ist diese Methode der Tiefpassfilterung z.B. bei der Bestimmung Inzidenzen bekannt geworden, dort dient sie dem Ausgleich der starken Schwankungen der Probenahme (Tests) innerhalb eines Wochenzyklus. Die rote HadCruT -Kurve dokumentiert präzise den gegenwärtigen Trend der globalen Erderwärmung anhand des kontinuierlichen Anstieg der Temperaturanomalie seit dem Beginn des 20. Jahrhundert, lediglich unterbrochen durch eine kurze Pause ab 1945 bis 1975. Insgesamt erstreckt sich der Anstieg der globalen Mitteltemperatur innerhalb des dargestellten Zeitraums über 1.1°C seit dem Minimum von -0.5°K um 1908. 0.5°K entfallen auf die Zeit vor 1980, 0.6°K auf die Zeit danach. Demnach hat die Erwärmung seither beachtlich an Fahrt aufgenommen

Der Vernagtferner als Thermometer für die globale Erderwärmung

Zwar quantifiziert die Kurve der global gemittelten Anomalie der bodennahen Temperatur klar die Entwicklung des Klimas, sie liefert aber weder Informationen zu dessen Ursachen, noch die damit verbundenen Konsequenzen und schon gar nicht zu dessen zukünftigen Entwicklung. Zu diesen Fragen wird weltweit ergebnisoffen intensiv geforscht und Ergebnisse in regelmäßigen Abständen durch den Weltklimarat (IPCC) veröffentlicht. Während inzwischen ein allgemeiner Konsens zur Identifizierung der anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen als Haupttreiber besteht, gibt es noch Unterschiede in der Einschätzung zu den Folgen und der zukünftigen Entwicklung, die von den Fortbestand der Menschheit gefährdenden Katastrophen bis hin zu lokalen Gewinnsituationen reichen. Je nach Standpunkt ergeben sich daraus dringende Handlungsdirektiven in Richtung zur Senkung der Emissionen bis hin zur zum weiteren Nichtstun. Da die Politik als gefragte Exekutive für Maßnahmen stets Zielvorgaben benötigt, hat sie zunächst Schwellenwerte der Anomalie definiert, die zur Vermeidung von nicht mehr beherrschbaren Gefahren durch den Klimawandel keinesfalls überschritten werden sollten. Seit den Beschlüssen von2010 soll ein Anstieg auf 2°K bzw. seit 2015 auf 1.5°K über den vorindustriellen Mittelwert begrenzt werden. Aber wo liegt dieser Referenzwert vor der Industrialisierung? Die 30-jährigen Mittelwerte der HadGruT-Kurve zwischen 1850 und 1880 liegen zwischen -0.39°K und -0.42°K, also 0.1°C höher als das Minimum um 1908. Folglich fehlen gegenwärtig noch 0.5°K bis zum Erreichen der 1.5°K-Grenze. In der Abbildung läge diese Grenze auf der rechten Skala bei 1.0°K, die 2-Grad Grenze dagegen bei 1.5°K. Bei einer linearen Fortschreibung des seit 1980 nahezu unveränderten Trends wäre der niedrigere Grenzwert von 1.5°K bereits gegen 2040 erreicht. Während die Konsequenzen eines weltweiten Temperaturanstiegs in dieser Größenordnung auf das Wetter und die Umwelt in weiten Teilen noch unklar sind, erscheinen sie für die Alpengletscher im Allgemeinen und für den Vernagtferner im Besonderen relativ klar: der Gletscher verliert weiter an Masse bis zu seinem völligen Verschwinden. Bereits der augenscheinliche Vergleich der Kurve der globalen Temperaturanomalie mit der Kurve des Massenschwundes legt einen ursächlichen Zusammenhang nahe, auch wenn die daran beteiligten Prozesse nicht im Detail erklärt werden können.
1a) Zusammenhang zwischen der globalen Temperaturanomalie und der Masse des Vernagtferners
Zur empirischen Prüfung einer solchen These ist es in der Wissenschaft ein gängiges Verfahren, anhand des gegeneinander Auftragens der Funktionswerte der beiden Kurven in ein Streudiagramm nach einem einfachen funktionalen Zusam- menhang zu suchen. Man nennt diese Vorgehensweise allgemein auch Parametrisierung. Der sehr komplexe Prozess der Massen- änderung des Gletschers mit der Zeit, eigentlich abhängig von einer Vielzahl von veränderlichen Messgrößen, soll näherungs- weise anhand einer einfachen Gleichung mit nur einem repräsen- tativen Parameter, hier die globale Temperaturanomalie, berechnet werden. Für den Vernagtferner ergibt sich gemäß der Abbildung 1a) ein erstaunlich eindeutiger statistischer Zusammenhang Form einer wohldefinierten Geraden. Demnach kann 96% der Änderung der Masse seit 1889 allein durch die Globale Temperaturanomalie und damit den Klimawandel erklärt werden. Bereits vor der Jahrtausendwende kam der Begriff der Gletscher als Fieberthermometer der Erde auf (z.B. durch Prof. Haeberli). Dabei wurde aber primär der Vergleich des eigentlich entgegengesetzten Bildes von der Längenänderung des Queck- silberfadens und der Gletscherzunge mit der Temperatur heran- gezogen. Der sichtbare Vorstoß oder Rückgang der Gletscherzunge als Reaktion auf Veränderungen der klimatischen Randbe-dingungen ist physikalisch äußerst komplex und in der Regel nicht synchron. Deshalb ist dieses Bild des Fieber- thermometers nicht wirklich passend. Die Parametrisierung der Gesamtmasse durch die Temperaturanomalie erlaubt jedoch in einfacher Weise die quantitative Bestimmung des aktuellen Standes der globalen Erderwärmung auf anhand der noch verbliebenen Gletschermasse. Dazu muss lediglich die Abszisse mit der Ordinate vertauscht werden und die Temperaturanomalie auf das vorindustrielle Minimum skaliert werden. Abbildung 1b zeigt die Gleichung, anhand der die aktuelle Globale Temperaturanomalie gTa auch ohne weltweite Messungen genauer als 0.05°K aus der verbleibenden Masse des
1b) Bestimmung der Globalen Temperaturanomalie anhand der verbliebenen Gletschermasse
1a) Zusammenhang zwischen der globalen Temperaturanomalie und der Masse des Vernagtferners
1b) Bestimmung der Globalen Temperaturanomalie anhand der verbliebenen Gletschermasse
Vernagtferners M bestimmt werden kann. Letztere kann in der erforderlichen Einheit Millionen Tonnen jährlich recht einfach aus der Masse des Vorjahres minus dem Produkt aus der Fläche in Quadratkilometern und der Massenbilanz in Meter berechnet werden. Beide Werte können jährlich aktualisiert der Webseite www.glaziologie.de entnommen werden. Hat die Masse des Vernagtferners beispielsweise von gegenwärtig 145 Mio To auf 60 Mio To abgenommen, dann liegt die Globale Temperaturerhöhung seit vorindustrieller Zeit zwischen 1.2°K und 1.3°K. Damit dient der Vernagtferner in der Tat als Thermometer für die globale Erderwärmung. Leider jedoch nur so lange, bis er vollständig verschwunden ist. Der obere Messbereich des Thermometers endet somit knapp unterhalb der politischen Vorgabe der möglichst nicht zu überschreitenden 1.5-Grad-Grenze. Mit dem Verlust des Vernagtferners ist diese erreicht. Andererseits können wir daraus lernen, dass das Ausreizen der politischen 1.5-Grad-Grenze mit dem vollständigen Verlust nahezu aller Gletscher der Ostalpen verbunden ist.

Die Messungen zum Lokalklima im Bereich des Vernagtferners

Trotz des statistisch eindeutig nachweisbaren ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem beobachteten Gletscherschwund und dem Globalen Klimawandel basieren die zugrundeliegenden physikalischen Prozesse auf den meist unbekannten Änderungen der Klimaparameter vor Ort. Es ist daher von größtem Interesse, wie sich der Globale Klimawandel auf das lokale Wetter und die Witterung am Gletscher direkt auswirkt. Kontinuierliche Messungen direkt auf der Gletscherfläche sind wegen der sich ständig verändernden Oberfläche und den teilweise extremen Witterungsbedingungen eine logistische Herausforderung, welche erst in jüngster Zeit möglich wurden. Am Vernagtferner wurde bereits in den 1960er Jahren eine Klimastation auf einer exponierten Felsinsel auf 3075 m eingerichtet, welche durch ihre Lage den advektiven Einfluss der Gletscherfläche erfassen sollte. Mit der zunehmenden Ausaperung der Felsen musste diese technisch unzureichend ausgerüstete Station 1988 aufgegeben werden, so dass die Messreihe nie die Qualität einer Klimareihe erreichte. Mit der Errichtung der Pegelstation Vernagtbach am Grund des Vernagttals im Sommer 1974 konnte stattdessen die Klimastation Vernagtbach unweit des Auslaufs der Gletscherzungen über dem Schutt des Gletschervorfeldes gemessen. Die Messanlage wurde im Laufe der Zeit mehrfach neben der Messung von Temperatur und Feuchte um weitere Sensoren zur Messung des Windes oder der Komponenten der Strahlungsbilanz erweitert und gleichzeitig die Genauigkeit der Datenerfassung durch Redundanz erhöht. Seit Anfang des Jahrtausends werden die Daten über mehrere Kanäle in Echtzeit fernübertragen, so dass die Funktion der Station optimal überwacht werden kann. Mit am genauesten ist die inzwischen 45 Jahre umfassende Messreihe der Lufttemperatur in 2 m Höhe, gemessen in einer weltweit standardisierten Messhütte. In der Grafik „Der Vernagtferner im Klimawandel“ ist die aus den an der Klimastation gemessenen Jahresmitteltemperaturen berechnete Temperaturanomalie über 9 Jahre geglättet in grüner Farbe eingetragen. Man erkennt seit Beginn der Aufzeichnungen vor ca. 45 Jahren einen nahezu kontinuierlichen Anstieg der Temperatur um mehr als 2°K, und damit um gut das Doppelte des Anstiegs der globalen Mitteltemperatur im selben Zeitrahmen. Häufig wird in den Medien berichtet, dass der Anstieg der Temperatur innerhalb der Alpen deutlich mehr als der im Flachland betragen würde. Dies ist falsch, wie man der nachfolgenden Tabelle entnehmen kann, welche die regressiv ermittelten linearen Temperaturtrends über die letzten 45 Jahre an mehreren Stationen in Bayern sowie den der Flächenmittelwerte des Bundeslands Bayern und der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu dem an der Klimastation Vernagtbach (KSVB) auflistet.
Tab 1) Linearer mittlerer Temperaturanstieg seit 1975 an mehreren Stationen in Bayern, im Flächenmittel von Bayern, der BRD und der Nordhalbkugel im Vergleich zu dem an der Klimastation Vernagtbach
Demnach war der Anstieg der mittleren Jahrestemperatur an der Klimastation im Vorfeld des Vernagtferners durchaus dem an anderen Stationen im ländlichen Raum von Bayern vergleichbar und lag nur geringfügig über dem Flächenmittel von Bayern oder dem der gesamten Bundesrepublik. Signifikant höher war er dagegen im Zentrum der Großstadt München, etwas geringer an der exponierten Wetterwarte am Gipfel der Zugspitze. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass der beobachtete Erwärmungstrend überwiegend eine gemeinsame überregionale Ursache haben muss. Die Trendanalyse erstreckt sich zwar nur über die letzten 45 Jahre, sie umfasst damit aber genau den Zeitraum, in welchem der maßgebliche Anstieg der bodennahen Lufttemperatur überall in Mitteleuropa in ähnlicher Weise stattgefunden hat. Allgemein ist die Erwärmung über den heterogen gegliederten Landflächen deutlich stärker ausgeprägt als über den homogenen Meeresflächen, weshalb die mittlere Anomalie auf der Nordhalbkugel wegen der dort gegenüber der Südhalbkugel größeren Landfläche etwas höher ausfällt als der im vorigen Abschnitt erwähnte globale Mittelwert. Die Ursache liegt vor allem in der Speicherkapazität des Wassers für Wärme. Dadurch passen sich die Temperatur an der Oberfläche und damit auch die der darüber liegenden Luftschicht sehr viel langsamer an die Veränderungen des Energieangebots aus der Atmosphäre an als über einer Landoberfläche. Die dort stattfindende Absorption der Energie und die daraus resultierende Aufheizung des Bodens ist eine entscheidende Ursache für den Erwärmungstrend. Dies zeigt insbesondere der überall sehr viel höhere Anstieg in den Sommermonaten Juli bis August. Im Sommer zeigt sich der Erwärmungstrend über Land überall am ausgeprägtesten. Im Vergleich zum globalen Trend und dem über den Ozeanden beträgt örtliche Anstieg leicht das drei- bis vierfache. Diesen Fakt muss man sich bezüglich der Folgen auch angesichts des Ziels einer Begrenzung der Globalen Erwärmung auf 1.5°K oder gar 2.0°K gegenüber der vorindustriellen Zeit durch wie auch immer geartete Maßbnahmen stehts vor Augen halten. München beispielsweise könnte bei Erreichen der 2°-Grenze bezüglich der Sommertemperturen mit dem heutigen Neapel konkurieren, nur dass dieses Klima mangels der Nähe zum Mittelmeer wesentlich schwerer zu ertragen wäre. Wenn es doch noch Münchner geben sollte, die an einer solchen Vorstellung Gefallen finden, so müssen sie sich darüber im Klaren sein, dass sie weiter in einer Stadt leben und auch arbeiten müssen, die an derartige Bedingungen bislang nicht angepasst ist. Aber die Stadt München als Spitzenreiter der Tabelle ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass Veränderungen in der Landnutzung den örtlichen Klimawandel weiter antreiben. Die Zunahme an Versiegelung und Verbauung reduzieren die natürliche Abkühlung durch Verdunstung und Frischluftzufuhr, so dass der resultierende Wärmeinseleffekt der Metropole immer weiter zunimmt. Kritische Stimmen mögen anmerken, dass dies ja nichts mit dem anthropogenen Klimawandel auf Grund der Emmission von Treibhausgasen zu tun habe, aber selbstverständlich gestaltet auch hier der Mensch das Klima über seine Änderungen der Landnutzung, und das schon lange bevor er zusätzlich für Produktion und Mobilität immer mehr Energie durch Verbrennung von Kohle und Erdöl erzeugen musste. Änderungen der Oberflächennutzung, sei sie menschengemacht oder auch durch natürliche Prozesse (die allerdings ihrerseits eine Folge des Klimawandels sein können, wie etwa Veränderungen in der Vegetation oder das Schmelzen von Schnee- und Gletscherflächen) erfolgt, verstärken den lokalen Temperaturtrend oder mildern ihn in komplexer Weise auch in seltenen Fällen ab. Trends an ländlichen Orten weichen daher weniger von einander ab als solche im städtischen Umfeld oder auch im höheren Bergland. Die Erwärmung an der Klimastation im Vorfeld des Vernagtferners kommt im Sommer bereits nahe an diejenige einer Großstadt heran, obwohl die Umgebung seit der Errichtung der Pegelstation von menschlichen Eingriffen unberührt blieb. In der Tabelle 1 schiebt sie sich im Sommer immerhin auf den zweiten Platz vor. Der gleichzeitig beobachtete Rückgang an Schnee- und Eisflächen in der Umgebung der Station legen einen unmittelbaren Zusammenhang nahe. Tatsächlich wird die Lufttemperatur an der Oberfläche durch eine ganze Kette von Prozessen bestimmt, bei denen signifikante Änderungen mit der Zeit auch zu Trends in der klimatologischen Mitteltemperatur führen. Durch ihre Lage am Grund eines vom Gletscher geschaffenen Tals gelegen, ist die bodennahe Lufttemperatur in besonderem Maße durch die dort herrschenden Lokalwindverhältnisse bestimmt. Beim Errichten der Station war man noch der Meinung, dass die Station hauptsächlich der Kaltluftadvektion durch den auf den kühlenden Flächen des Vernagtferners angeregten Gletscherwinden ausgesetzt sei, und damit repräsentativ die Verhältnisse dort wiederspiegeln würde. Neuere Analysen zeigen jedoch, dass die Windverhältnisse an der Station hauptsächlich durch den sich im Vernagttal zyklisch einstellenden Wechsel des Bergtalwinds geprägt werden. Nachts ist es der vom Gletscher wehende nördliche Bergwind, tagsüber dagegen der Talwind, der warme und feuchte Luft aus dem Rofental heranträgt. Auch der Bergwind ist ein warmer Wind, der sich beim Absteigen von den Gletscherflächen adiabatisch und zusätzlich über dem Gletschervorfeld erwärmt und Wasserdampf von dort mitbringt. In der Summe ist die Klimastation Vernagtbach speziell im Sommer kontinuierlicher Warmluftzufuhr (Warmluftadvektion) ausgesetzt, so dass dort nicht kältere sondern höhere Temperaturen als einem vergleichbaren Ort in gleicher Höhe gemessen werden. Eine weiterer Treiber für den Erwärmungtrend an der Klimastation Vernagtbach liegt in der Lage des Vernagtferners auf der Südseite des Alpenhauptkamms. Man muß nicht Meteorologe oder Klimatologe sein, um zu wissen, dass es im Süden wärmer ist. Die Region um den Vernagtferner, 200 km weiter südlich als München gelegen, ist stets in Reichweite der warmen Luftmassen südlich der Alpen aus dem Mittelmeerraum. Auf derselben Höhenlage ist es im Mittel jenseits der Alpen deutlich wärmer als nördlich davon. Tatsächlich ist es daher an der Pegelstation im Jahresmittel ca. 4°C wärmer als auf der selben Höhe über München. Wegen des gewaltigen Höhenunterschiedes von 2100 m bemerkt man diesen Unterschied bei einem Besuch vor Ort nicht. Er fällt jedoch ins Auge, wenn man die klimatologische Temperaturänderung mit der Höhe in der Tabelle 2 unten betrachtet.
Tab 2) Mittlere Temperaturänderung mit der Höhe zwischen mehreren Stationen (s.a. Tab 1)
Klimatologisch nimmt die Temperatur in der freien Atmosphäre im Mittel um -0.65°K pro 100 Höhenmeter ab. Folglich müsste es an der Pegelstation (KSVB) im Jahresdurchschnitt etwa 13.5°K kälter sein als am nördlichen Stadtrand von München (Ga). Tatsächlich beträgt der Unterschied jedoch nur 9.7°K, was einer scheinbar fast 600 m tieferen Höhenlage der Station entsprechen würde. Die Zunahme der Temperatur nach Süden wird auch anhand der mittleren Raten der Temperaturabnahme (auch vielfach als vertikaler Temperaturgradient bezeichnet) der anderen Station aufgeführten Stationen in Bayern sichtbar. Überall ist der Gradient zur Klimastation Vernagtbach betragsmäßig kleiner als der klimatologische Standardwert. Bereits an dem 41 km weiter südlich gelegenen Observatorium Hohenpeissenberg ist es im Jahresmittel um 1.6°C wärmer als in München. Am Alpennordrand (Zugspitze, 100 km) beträgt die Differenz bereits 2.6°C. Vom Hohenpeissenberg zur Klimastation Vernagtbach sind es weitere 2.1°C. Ein Teil der signifikanten Erwärmung könnte somit mit der allmählichen Nordverlagerung des mediterranen Klimas über die Alpen verbunden sein. Im Sommer (Mittel der Monate Juni bis August) dagegen wirken alle Bergstationen aus der Ferne etwas kühler. In dieser Zeit ist die klimatologische Temperaturabnahme mit der Höhe insbesondere in trockenen Jahren sogar etwas höher als der Wert des feuchtadiabatischen Temperaturgradienten. Besonders deutlich wird dies anhand des Gradienten von der 325 m höher gelegenen Zugspitze hinunter zur Klimastation im Sommer. Hier muss sogar eine überadiabatische Zunahme (mehr als 1°K pro 100 m) angenommen werden, um die Temperatur auf dem Niveau der Pegelstation zu approximieren. Bei dieser Betrachtung gilt es allerdings immer auch die lokalen Besonderheiten zu berücksichtigen. Aus der Sicht der Station innerhalb der relativ warmen Wärmeinsel des Stadtzentrums München wirkt die Station am Vernagtferner etwas kälter. Eine weitere Ausnahme stellt das Observatorium am Hohenpeissenberg dar, welches dank häufiger Inversionen und Föhnlagen besonders gegenüber Stationen im umgebenden Flachland ebenfalls vergleichsweise warm erscheint und damit auch im Sommer gegenüber der Station bei München eine deutlich kleinere Abnahme der Temperatur mit der Höhe aufweist. Dafür entspricht der Gradient zum nahe gelegenen Gipfel der Zugspitze fast dem feuchtadiabatischen Temperaturgradient in der freien Atmosphäre. Die Messungen an der Klimastation Vernagtbach repräsentieren somit die dortigen speziellen Verhältnisse, jedoch nicht unbedingt die Temperatur nahe der Oberfläche über dem Gletscher. Genau diese ist jedoch ein wichtiger Indikator für die Art und Effizienz der dort stattfindenden physikalischen Prozesse bei der Umwandlung von Eis und Schnee in Schmelzwasser und Wasserdampf. Eine wichtige Besonderheit ist dabei, dass die Oberflächentemperatur der Schnee- oder Eisflächen den Gefrierpunkt unabhängig von der absorbierten Wärme aus der Atmosphäre niemals überschreitet. Das hat vor allem im Sommer drastische Unterschiede zwischen den Temperaturen über den aperen Felsen und den Gletscherflächen zur Folge. Die Oberflächentemperatur des trockenen Gesteins kann bei starker Einstrahlung bis zu 50°C betragen. Über dem Gletscher ist die Lufttemperatur in ca. 2 m Höhe über dem Eis in den Sommermonaten um bis zu 2°C niedriger als in der Umgebung, wie die dort seit 2017 installierte Messstation zeigt. Welchen Einfluss diese Abkühlung auf die Messungen an der Klimastation hat, gilt es noch näher zu untersuchen. Wie im nachfolgenden Abschnitt noch gezeigt wird, korrelieren die lokal gemessenen Temperaturänderungen weniger eng mit der Gletschermasse als die globalen Anomalien. Die Ursache dürfte auch im zusätzlichen Einfluss der Änderung der Eis- und Schneebedeckung mit der Zeit in der Umgebung der Station liegen. Messungen direkt auf dem Gletscher waren wegen der rauen Umgebung und der Witterung nur unter großem logistischem Aufwand für kurze Zeit möglich. Es erforderte über 40 Jahre, bis ein Messsystem entwickelt und in Betrieb genommen werden konnte, welches vergleichbar genaue meteorologische Datensätze kontinuierlich wie an der Pegelstation liefert. Dessen Messreihe ist jedoch noch zu kurz zur endgültigen Beantwortung der Frage, ob der Vernagtferner so stark schmilzt, weil die Temperatur an der Pegelstation so stark gestiegen ist, oder ob diese so stark ansteigt, weil der Vernagtferner wegen des Globalen Klimawandels weiter zurückschmilzt. Aber auf alle Fälle ist diese Messreihe etwas Besonderes, die in Zukunft dringend fortgeführt werden muss.